Heimatlied der Kevelaerer: Wor hör ek t’hüß?

Es ist die mit Abstand bekannteste Kevelaerer Dichtung – das Heimatlied „Wor hör ek t‘hüß“. Da kann man sich nur wundern, wie dürftig die Hinweise auf die Entstehung sind. Wir wüssten nicht einmal das genaue Jahr, wenn nicht Gerte Paessens-Wenzel (*1915, † 2006) aus Bad Neuenahr, Tochter des Kevelaerer Malers > Karl Wenzel, im November 1981 einen Leserbrief an das Kävels Bläche geschrieben hätte:

Bergmann und Korthaus waren Freunde. Der Dichter gab das Werk dem begabten Komponisten zu lesen, der gleich sagte: „Ich hab schon die Melodie!“ Und in wenigen Tagen war das vielgesungene Heimatlied geboren. Das war im Jahre 1910. Dies hat mir erst vor wenigen Tagen die hochbetagte Witwe des Komponisten, Luise Korthaus, die in Bonn lebt, ausführlich geschildert.

Uraufführung

Das Heimatlied wurde erst Anfang 1913 uraufgeführt, und zwar auf einer Versammlung des Museumsvereins.

Quelle: Blattus (http://www.archiv.blattus.de/kaz/texte/h_kaz/heimatlied-kevelaer.html)

Wor hör ek t’hüß? – kent gej min Land?
Gän Baerge schnejbelaeje
Gän driewend Water träckt en Band
Voerbej an grote Staeje:
Dor wor de Nirs doer’t Flackland gätt
Wor in dem Baend et Maisüt stätt
On wor de Keckfoars quakt in’t Lüß,
Dor hör ek t’hüß.

Wor op de Heij de Loewrek sengt,
Den Haas sprengt dör de Schmeele,
Wor ons de ricke Sägen brengt
De Aerbeijshand voll Schweele,
Wor in et Koarn de Klappros droemt,
Van Faeld on Weije rond ömsoemt
So frindlek roest et Burenhüß
Dor hör ek t’hüß.

Wor gärn de Lüj en oapen Hand
In Not de Noaber reike,
Foer Gott on Kerk on Vaderland
noch faas ston, as de Eike.
Wor maenn’gen Drömer, maenn’ge Sock
So gut es, as den andern ok.
Wor saelde Strit on grot Gedrüß,
Dor hör ek t’hüß.

Pries gej ow Land mar allemol
In Nord, Ost, Süd on Weste,
– Ok maenn’ge grote Noet es hoal –
Min Laendche es et beste!
Hier stond min Wieg, hier lüjt mej ok,
So Gott well, eins de Dojeklock.
Dann schrieft mej op et steene Krüß:
Hier hört hän t’hüß!

Text: Theodor Bergmann, Melodie: Gerhard Korthaus

An der Basilikastraße, dort wo seit 1985 dank einer Initiative der Nachbarschaft ein Denkmal dem Schuhfabrikanten und Heimatdichter gewidmet ist, kam Theodor Bergmann (1868 – 1948) zur Welt. 1915 erschien seine erste größere Dichtung – das Volksschauspiel „Der Schmied von Kevelaer“. Dem Förderer des Museums, der den Museumsverein von 1923 bis 1939 führte, lag die Pflege der plattdeutschen Sprache sehr am Herzen. So stellen seine ungezählten Gedichte auf Kävels Platt das Hauptwerk des Kevelaerers dar. Bis heute berühmt ist Bergmanns 1929 bei > Butzon & Bercker erschienenes Buch Maisüches on Heijblumme. Bergmann war zudem ein erfolgreicher Schuhfabrikant, der unter anderem mit > Wilhelm Otterbeck in Kervenheim standespolitisch zusammenarbeitete. 1946 gehörte Bergmann zu den Mitgründern der CDU in Kevelaer.

Der Kirchenmusiker Gerhard Korthaus (1869 – 1937) war von 1890 bis 1927 Basilikaorganist in Kevelaer, wo er mit seiner Frau Louise auch als Klavierlehrer wirkte. Der gebürtige Gocher, der nach seiner Pensionierung ab 1927 in Bonn lebte, hatte bei P. H. Thielen eine musikalische Ausbildung genossen und sich im Selbststudium weiter-gebildet. Schon in jungen Jahren galt er als einer der begabtesten Organisten in der Diözese. Seine Improvisationsgabe wurde gerühmt. Korthaus war mit der Basilikaorgel derart vertraut, dass er nach seinem Weggang (1927) in den letzten drei Lebensjahren nie wieder auf einer „fremden“ Orgel spielte. Es war Korthaus‘ inniger Wunsch, in Kevelaer beerdigt zu werden, wie seine Frau Louise in der Traueranzeige schrieb. Das kinderlose Ehepaar hatte an der Schlageterstr. 26 (Friedenstraße) gewohnt.

Die Kevelaerer, die das Lied bewegt mitsingen, haben zu ihrer Heimat eine enge Beziehung – ein Gefühl, das sich nicht verändert, obwohl sich ihre Stadt, zumindest äußerlich, ständig wandelt. Aber ohnehin ist Heimatgefühl nicht auf Anfassbares bezogen.

Kein Mensch liebt Steine oder Straßen. Die Frage, warum Menschen den Ort Kevelaer lieben, hebt nicht auf seine Infrastruktur ab. Auch die Atmosphäre in der Innenstadt, die von niederländischer Kleinteiligkeit und prächtigen Kulissen lebt, reicht nicht für ein so großes Gefühl.

Der Slogan, mit dem Kevelaer als unverwechselbar bezeichnet wird, wäre nicht in Fleisch und Blut übergegangen, würde er die bloße Banalität verkünden, dass es eine 1:1-Kopie nicht gibt. Jede Formation von Straßen und Häusern ist nachzubauen, sogar ihr Charakter und ihre Anmutung. Unverwechselbar ist etwas erst dann, wenn man es anderswo für kein Geld der Welt genau so erleben kann.

Ein solches Gefühl ist allerdings überall zu Hause. Wo immer Menschen leben, gibt es ein unverwechselbares Umfeld, das als einmalig empfunden wird. Sie nennen es Heimat. Der Geburtsort ist oft Zentrum der gefühlten Heimat. Freilich muss er es nicht sein, denn für das Heimatgefühl ist nicht wichtig, wo die Geburt standesamtlich registriert ist, sondern wo man aufgewachsen ist. Deshalb sind auch scheinbar feine Unterscheidungen von gebürtigen und zugezogenen Einwohnern, wie man sie aus Geldern und Wesel kennt (Gelrianer und Weselaner, Gelderner und Weselinskis), nichts anderes als Ab- und Ausgrenzungen, die man besser unterlassen sollte.

Dass es in Kevelaer solche namentlichen Klassenunterschiede nicht gibt, liegt vielleicht nur an der sprachlichen Schwierigkeit, aus unserem Stadtnamen ähnliche Ableitungen zu bilden. Auch hier hört man zuweilen, dass ein „echter Kevelaerer“ nur der sein könne, der hier geboren ist.

Daran ist lediglich richtig, dass jemand, der in Kevelaer aufgewachsen ist, leichter zu dem vorstoßen kann, was wir Heimatgefühl nennen. Daraus kann eine Liebe zu Kevelaer erwachsen, muss es aber nicht. Mancher ist bewusst von Kevelaer fortgezogen. Mancher entwickelt erst im räumlichen Abstand Liebe zu seiner Heimatstadt. Und mancher hatte sie immer und empfindet sie bis heute, obwohl er, oft aus beruflichen Gründen, fern der Heimat lebt.

Niemand hat es schöner ausgedrückt als Theodor Bergmann: „Hier stond min Wieg, hier lüjt mej ok, so Gott well, eins de Dojeklock. Dann schrieft mej op et steene Krüß: Hier hör hän t’hüß!“ Mit diesen Zeilen endet sein Gedicht – ein Liebeslied, das den Ort besingt und nicht nur eine Begegnung zweier Menschen wie im Schlager „Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren“ (1925).

Heimatgefühl stellt sich nicht von selbst ein, so als würde es schon genügen, ein schönes Haus mit Garten oder ein gemütliches Zimmer unter‘m Dach zu bewohnen. Wo Zuhause ist, muss nicht auch Heimat sein. Während das Zuhause-Gefühl von Umzug zu Umzug mitgenommen wird, bleibt das Heimatgefühl oft zurück: Es braucht die gewachsene Beziehung zu einer Region. Es ist die von Herzen kommende Antwort auf die Frage, wo der Mensch in seinem sozialen Umfeld glücklich war oder ist.

Heimatliebe, die sich aus Heimatgefühl entwickelt, kann allerorten empfunden werden. Darin unterscheidet sich Kevelaer nicht von anderen Landstrichen, wohl aber in der Intensität und Qualität der Heimatliebe: Wer diesem Ort, der zum Gnadenort auserwählt worden ist, mit Leib und Seele verbunden ist, dessen Heimatliebe kann zu einer höheren Stufe gelangen, die er im Alltäglichen einer gewöhnlichen Stadt kaum erreichen wird. Und wie immer ist diese Liebe selbstlos, denn die Segnungen, die von der Gnadenstätte ausgehen, sind nicht für die Einwohner reserviert. Sie werden von allen Menschen, die sich dafür öffnen, empfangen.

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